Wir sind der Staat
1.DER STAAT ALS HERRSCHAFTSINSTRUMENT
Haben wir die Freiheit, die wir verdienen ?
Man muß, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl achtgeben, ob es nicht eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird. G. W. F. Hegel
In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keineGesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit
gegründet sein, keineswegs auf den Begriff der Freiheit.
Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden ;
die Freiheit, nämlich die sittliche, daß ich mich
subordinieren mag, bringe ich mit.
Johann Wolfgang Goethe
Die einst geforderte
Pflicht zum Ungehorsam gegen den
Staat
genügt nicht mehr – heute geht es um die
Pflicht des
Staates zum Gehorsam gegen den Bürger
. Warum ? Durch
Weigerung ist Macht nicht zu bekehren, die Konflikte
haben Dimensionen angenommen, die nur noch durch
Selbstermächtigung zu lösen sind.
Die Regierenden regieren nicht mehr. Die Repräsen-
tanten repräsentieren nicht mehr. Wenn’s heikel wird,
vollziehen die Vollziehenden nicht mehr. Den Gewin-
nern gehört das Casino. Die Wutbürger erproben ihre
Macht nicht. Die einzige Begrenzung der Macht wäre die
Gesetzgebung. Von der sind sie ausgeschlossen. Sie haben
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keine andere Wahl, als Leute zu wählen, die nicht die Ab-
sicht haben, ihre Versprechen einzuhalten. Die größte
Partei ist die der Nichtwähler. Diese aber gelten nicht als
das, was sie sind: Nein-Stimmen. Ihr Verweigern wird
geflissentlich überhört, sie haben keine Sanktionsmöglichkeit.
Obwohl drei Viertel der Wähler es fordern, sind bundesweite Volksentscheide bisher nicht vorgesehen. Doch
selbst wenn dies eines Tages durchgesetzt wird, müssen
Bürger, die ja
für eine Politik bürgen
sollen, mehr dürfen
als Fragen beantworten. Mit welchem Recht verweigert
die Politik dem angeblichen Souverän, seinen Bürgerrechten Gesetzeskraft zu geben ? In einer von Politikverdrossenheit gekennzeichneten Zeit leisten sich Regierun-
gen und Gerichte die obrigkeitsstaatliche Auffassung,
eine von den Bürgern initiierte Veränderung der Verfassung sei nicht erwünscht. Das heißt, der Staat verzichtet
dankend auf Bekundungen der Bevölkerung, in welchem
Sinne sie regiert werden will. Sie sollen sich mit dem Parteienkarussell, in dem wechselnde Eliten um dieselbe
Macht kämpfen, begnügen. Die Wähler dürfen Abgeordneten zu Karrieren und Diäten verhelfen, sollen sie dann
aber nicht weiter belästigen.
Demokratie bedeutet Machtbeschränkung. Die Teilung der Gewalten von Legislative, Exekutive und Judi-
kative soll Missbrauch verhindern. Doch die Parlamente
haben Macht an die Regierung abgegeben, die Regierung
hat Macht an die
EU
-Kommission abgegeben, diese hat
Macht an die Weltbank und die Welthandelsorganisation

abgegeben, alle haben Macht an die Profitwirtschaft abgegeben. Und der Wähler soll seine Stimme abgeben und
sich dabei fühlen wie Hans im Glück. Er guckt in die Luft
und fragt sich, welche Wahl er eigentlich hat, wenn niemand die verborgen herrschende Macht beschränkt, die
des Kapitals ?
Im Jahr
2000
erhob der damalige Vorstandssprecher
der Deutschen Bank, Rolf Breuer, (nach den Medien als
vierte) die Finanzwirtschaft zur fünften Gewalt. Sie sei
eine wirkungsvollere Kontrollinstanz des Staates als die
Wähler, da sie die berechtigten Interessen der in- und
ausländischen Investoren besser gewährleisten könne.
« Wenn die Politik im
21
. Jahrhundert in diesem Sinne im
Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht
so schlecht nicht. » So schlecht nicht für die Aktionäre. Sieben Jahre später schleppten die Banken die sich selbst ans
Tau gehängt habende Politik in die Krise – ganz schlecht.
« Der jetzige Staat zerfällt in zwei Staaten, den der Armen und den der Reichen, die sich mit unversöhnlichem
Hass verfolgen. » Wer hat es so schonungslos auf den
Punkt gebracht ? Occupy oder die Piratenpartei ? Ein
Sprecher des arabischen Frühlings oder Attac auf einem
der Weltsozialforen ? Der als wichtigster Intellektuelle
der Welt gehandelte Anarchist Noam Chomsky oder gar
der Milliardär Warren Buffett ? Der in seinem berühmten Interview in der
New York Times
von
2006
zugab: « Es
herrscht Klassenkampf, richtig, aber es ist meine Klasse,
die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen. »
10
Es war Platon, in seinem Dialog-Buch « Politeia »,
370
vor Christus, der den Hass im Staat beklagte.
Und er war nicht einmal der Erste. Seit
2500
Jahren,
seit der Verfassungsdebatte von Herodot, reiben sich die
Menschen auf im Streit um die Frage, welche Herrschaftsform der Gerechtigkeit am nächsten kommt. Ist
der Staat Zweck oder der Mensch in ihm ? « Die sicherste
Art, den Krieg der Armen gegen die Reichen zu verhindern wäre, sie an der Gesetzgebung teilnehmen zu las-
sen. » Was für den streitbaren Publizisten Ludwig Börne
1820
plausibel war, ist heute noch genauso einleuchtend.
Aber das Plausible ist nicht das Praktizierte.
Zweifellos haben die technischen Revolutionen die
Maßstäbe dafür, was Wohlstand, was Armut ist, in den
Industrienationen verschoben. Und dennoch spitzen sich
gerade hier die Missstände zu: Die
USA
haben ein Maß an
Ungleichheit erreicht, das nur mit Afrika vergleichbar ist,
sagt der Soziologe Colin Crouch (
SZ
vom
26
.
10
.
2012
).
Aus Spanien ist zu hören, dass auch dort inzwischen
Menschen hungern. In Deutschland können sieben Millionen Beschäftigte von ihrer Vollzeit-Arbeit nicht leben.
In Europa soll die Kluft zwischen Arm und Reich derzeit
ähnlich groß sein wie vor der Französischen Revolution.
Der beste Beweis dafür, dass all diese Betroffenen nicht
den geringsten Anteil an der Gesetzgebung haben können. Man staunt über die Annahme, die Gedemütigten
würden dies ewig so hinnehmen.
Weiter draußen in der Welt dulden, ja verschulden wir
Satten den Einsatz der Massenvernichtungswaffe Hunger, der alle fünf Sekunden ein Kind zum Opfer fällt. Es ist
ein Indiz unserer Verrohung, dass wir diese Hölle auf Erden hinnehmen, als sei sie unvermeidbar. Wo ist der
Film, der uns diese Kinder im Sekundentakt vorführt ?
Von extremer Armut sind laut Weltbank
1
,
2
Milliarden
(
1 200 000 000
) Menschen gezeichnet. Bei all dem Massentourismus ist es unausweichlich, über sie zu stolpern.
Die indischen Bettelkinder hängen einem so verzweifelt
am Rocksaum, dass man Sorge hat, sie reißen einem die
Kleider vom Leib.
Doch weltweit werden die Millenniumsziele der
UNO
zur Bekämpfung der Armut unter Leitung der Industrienationen nicht nur verfehlt, sondern ins Gegenteil ver-
kehrt. Gerade das, was alle verurteilen, geschieht seit
Jahrhunderten immer aufs Neue. Die Kritik daran ist wirkungslos. Weil Kritik gegen
verrechtlichte Privilegien
nicht ankommt. Wenn Vernunft auf ein Interesse stößt,
ist es immer wieder die Vernunft, die sich blamiert. Interessen an sich sind zwar nicht unvernünftig. Aber dominante Interessen von Minderheiten sind so schädlich
wie alle Dominanz. Zu den dominanten Interessen gehört, den Menschen durch Brot und Spiele das Denken
in Zusammenhängen abzugewöhnen. Wo ist die demokratische Plattform, auf der reicher Mann und armer
Mann dastehen und sich ansehen können ? Wo sagt der
eine einsichtsbleich: « Wär ich nicht arm, wärst du nicht
reich. »
Stattdessen werden Neiddebatten provoziert. Sie sollen genau diesen Gedankengang verhindern: Es geht vie-
12
len Leuten nur deshalb recht gut, weil es noch mehr Leute
gibt, denen es recht schlecht geht. Ebendeshalb ist die
Kommunikation zwischen oben und unten nicht zufällig gestört. Das Erleben von sozialem Abstieg, oder der
Angst davor, gehört zum alltäglichen Unglück vieler
Menschen, Massen inzwischen, ohne dass dieser Leidensdruck angemessen zur Kenntnis genommen wird.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa erreicht demnächst
arabische Dimensionen. Wie sollen diese Heranwachsenden die Erfahrung sozialer Achtung machen oder
auch nur sich selbst achten, wenn sie jeden Tag aufs Neue
bestätigt bekommen, dass niemand sie braucht ? Junge
Leute, die nicht einmal dafür taugen, ausgebeutet zu
werden !
An den Universitäten finden sich Kinder finanzkräftiger Eltern in der Mehrheit. Und unter den Managern
in Spitzenpositionen sind Abkömmlinge des gehobenen
Bürgertums ebenfalls deutlich überrepräsentiert. Den
Abgedrängten bleiben Aggression und Krankheit als normale Reaktion, Scham und Demut, gar Schuldgefühle als
kranke. Jene haben die zugesprochene Nichtigkeit verinnerlicht, über die wahren Ursachen ihrer Lage hat sie niemand aufgeklärt. Schon gar nicht all die privat finanzierten
Verblödungsprogramme
des Fernsehens, die durch
Zerstreuung nicht entschädigen, sondern schädigen. Wer
nie die Chance hatte, seine Würde zu spüren, ist so unterwürfig, wie nur Untertanen es sein können. Und sein
müssen, um Gesetze wie Hartz
IV
, um Leiharbeit und
rentenunwirksame Schwarzarbeit ohne Protest hinzu13
nehmen. Um an die Unabänderlichkeit ihres Schicksals
zu glauben. Das wirkmächtigste Verbot aller Systeme,
auch des westlichen, ist das
Denkverbot
. O nein, ein un-
geschriebenes Gesetz ist das nicht – es steht geschrieben
in jeder Zeile, jedem O-Ton der Mainstream-Avantgarde:
Denke systemimmanent, jedes andere Denken ist undenkbar. Es ist des Teufels, denn die Verführung zu eige-
nen Fragen endet bekanntlich mit der Vertreibung aus
dem Paradies. Wer schweigt, der bleibt.
Und weil das so ist, bleibt die soziale Frage so alt wie ungelöst. Also stellt sie sich immer wieder aufs Neue. In Krisenschüben wird sie zu einer akuten Frage. Zurzeit ist sie
im wahrsten Wortsinn brandaktuell. Es brennt im arabischen Raum, es brennt in Europa, es zündelt überall.
Heute sind acht von zehn Deutschen davon überzeugt,
dass die Kluft zwischen Arm und Reich die Demokratie
gefährdet.
Diese Kluft steigert sich von einem deutschen Armuts- und Reichtumsbericht zum nächsten ins nicht
mehr als steigerungsfähig Geglaubte. Die absolute Mehrheit der Menschen besitzt nur ein Prozent aller Vermögenswerte. Vor zehn Jahren, vor der Krise also, besaß sie
wenigstens noch fast fünf Prozent. Schon damals räumte
die Regierung zerknirscht ein, dass sie sich von der « Existenz von Armut, Unterversorgung und sozialer Ausgren-
zung in einem wohlhabenden Land » herausgefordert
fühle. Erlegen sind die Regierenden wechselnder Parteien
allerdings einer ganz anderen Herausforderung: den ein14
träglichen Offerten der großen Konzerne und Banken :
Ihr bekommt Spenden, Privilegien und Posten gegen Gesetze, die uns nützlich sind.
Wie anders als durch
Gesetzesfreiräume
hätte sich das
Privatvermögen in Deutschland in den letzten zehn kriselnden Jahren verdoppeln können – auf nunmehr zehn
Billionen Euro. Würden sich die Inhaber diese Summe
auszahlen lassen, ließe sich daraus, die Euroscheine aufeinandergeklebt, für deren Besitzer eine Treppe bis zum replica-uhren.biz replica uhr kaufen rolex replica
Mond bauen – und von dessen Rückseite wieder zurück.
Auch das noch. Das One-way-Ticket gilt nur für den
Sturzflug ins Prekariat. Denn die Kluft zwischen Reich
und Arm ist auch der Graben zwischen chancenreich und
chancenlos. Sie ist die Schlucht zwischen gebildet und
« bildungsfern », wie es heute politisch korrekt heißt.
« Wir sind das Volk » – das war die emanzipatorische
Formel im Umbruchsjahr
1989
, zufällig genau
200
Jahre
nach der Erklärung der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung. Für einige Wochen hatten die vielen hunderttausend Aktiven erstmalig das Gefühl, Subjekt der Geschichte zu sein. Das Mandat der
Politik war an die Runden Tische verlegt worden ... Die
repräsentative Demokratie hat dieses Möbel, mitsamt den
daraufgeschriebenen Erneuerungsvorhaben, so schnell
wie unbesehen entsorgt. Ihr das zu untersagen lag jenseits
aller Vorstellungskraft der Agierenden. Die parlamentarische Demokratie galt als das goldene Vlies, das heilsgleiche Unterpfand der angestrebten Freiheit. Fast ein Vierteljahrhundert später ist klar: Dass wir das Volk sind, war
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Ausgegangen ist alle Macht vom Volk und nie zurückgekehrt. Auch bei den Abgeordneten hat sie nur einen
Zwischenstopp gemacht,
80
Prozent von ihnen fühlen
sich inzwischen selbst ohnmächtig. Die
parlamentari-
sche Macht hat Ausgang
. Nicht selten werden Gesetze in
privaten Anwaltskanzleien entworfen, deren Großkunden gleichzeitig Banken sind. Die lassen dann prakti-
scherweise durchblicken, welche Gesetze genehm wären.
Und falls sie dennoch nicht ganz genehm ausfallen, ist die
Beratung inklusive, wie diese Großkunden die Gesetze
umgehen können. Die Banken finanzieren die Schulden
des Staates, deren Höhe ein Maß für Abhängigkeit ist.
Zwei Billionen Euro – darf ’s noch etwas mehr an Hörigkeit sein ? Der Staat ist fremdbestimmt.
Hegel unterstellte: « Der Geist eines Volkes spricht sich
im Staat aus. » Haben wir den Staat, den wir verdienen ?
Wenn ja, ist uns nicht zu helfen. Wenn nicht, wird es
Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen. Die Kampfansage
gilt der allgegenwärtigen Oligarchie, also der Herrschaft
von wenigen, die ihr enormes Vermögen legal in demokratisch nicht legitimierte Macht umwandeln können. Sie
gilt dem Staat, der seine Herrschaft gerade dadurch ausübt, dass er sie aus der Hand gibt und sich vom Profitdenken der Privatwirtschaft instrumentalisieren lässt. Sie gilt
dem politischen System, das mangels eigener Durchsetzungskraft, mangels eigener Wirksamkeit, letztlich mangels eigener Existenz, auch den Kapitalismus in die Nichtexistenz führen wird. Nicht der Kapitalismus ist am Ende,
sondern die repräsentative Demokratie, die sich einmal
17
mehr als unfähig erweist, die kreativen Potenzen dieses
Wirtschaftssystems zu erhalten, indem sie seine zerstö-
rerischen Potenziale unterdrückt.
Die Aufgabe scheint gewaltig und besteht doch nur
darin, die Verfassung mit Leben zu erfüllen – alle Staatsgewalt hat vom Volke auszugehen. Das heißt, der Staat
soll ein
Herrschaftsinstrument des Volkes
sein. Wie an-
ders wäre dies zu bewältigen: Die Bürger müssen ihren
Staat in Besitz nehmen. Auch, um die Demokratie auf die
Wirtschaft auszudehnen. Wenn es zum europäischen
oder sonst einem Frühling kommt, dann sollten die progressiven Gruppen nicht im Winterschlaf verharren.
Was für ein Knospenknallen, sollten sie organisatorisch
und programmatisch besser vorbereitet sein als die neoliberalen oder nationalen Fundamentalisten. Die linkeren
Bürger, mit ihrer zwanghaften Lust an der kleinsten Differenz, sollten nicht so zerstritten sein, dass sie sich nicht,
wie jetzt im arabischen Herbst, auf ein Programm, auf die
dazu passenden Kandidaten, einigen können.
Ich erhebe nicht den Anspruch zu wissen, was richtig
ist. Ich habe Informationen eingeholt, Erfahrungen zugelassen, Zweifel verinnerlicht und aus all dem weitge-
hend tabuisierte Schlüsse gezogen. Ich mache Vorschläge.
Ich habe also viel Mühe gehabt, meinen nächsten Irrtum
vorzubereiten ... Wenn es gelänge, den Zweifel zu säen,
hier und da aufgehen zu lassen, damit den unumkehrbar
scheinenden Trott zu stören, wäre schon ein wenig gewonnen.
Ausgegangen ist alle Macht vom Volk und nie zurückgekehrt. Auch bei den Abgeordneten hat sie nur einen
Zwischenstopp gemacht, 80 Prozent von ihnen fühlen sich inzwischen selbst ohnmächtig. Die
parlamentarische Macht hat Ausgang. Nicht selten werden Gesetze in
privaten Anwaltskanzleien entworfen, deren Großkunden gleichzeitig Banken sind. Die lassen dann praktischerweise durchblicken, welche Gesetze genehm wären.
Und falls sie dennoch nicht ganz genehm ausfallen, ist die Beratung inklusive, wie diese Großkunden die Gesetze umgehen können. Die Banken finanzieren die Schulden des Staates, deren Höhe ein Maß für Abhängigkeit ist.
Zwei Billionen Euro – darf ’s noch etwas mehr an Hörigkeit sein ? Der Staat ist fremdbestimmt.
Hegel unterstellte: « Der Geist eines Volkes spricht sich im Staat aus. » Haben wir den Staat, den wir verdienen ?
Wenn ja, ist uns nicht zu helfen. Wenn nicht, wird es Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen. Die Kampfansage gilt der allgegenwärtigen Oligarchie, also der Herrschaft von wenigen, die ihr enormes Vermögen legal in demokratisch nicht legitimierte Macht umwandeln können. Sie gilt dem Staat, der seine Herrschaft gerade dadurch ausübt, dass er sie aus der Hand gibt und sich vom Profitdenken der Privatwirtschaft instrumentalisieren lässt. Sie gilt dem politischen System, das mangels eigener Durchsetzungskraft, mangels eigener Wirksamkeit, letztlich mangels eigener Existenz, auch den Kapitalismus in die Nichtexistenz führen wird. Nicht der Kapitalismus ist am Ende, sondern die repräsentative Demokratie, die sich einmal mehr als unfähig erweist, die kreativen Potenzen dieses
Wirtschaftssystems zu erhalten, indem sie seine zerstörerischen Potenziale unterdrückt.
Die Aufgabe scheint gewaltig und besteht doch nur darin, die Verfassung mit Leben zu erfüllen – alle Staatsgewalt hat vom Volke auszugehen. Das heißt, der Staat soll ein Herrschaftsinstrument des Volkes
sein. Wie anders wäre dies zu bewältigen: Die Bürger müssen ihren Staat in Besitz nehmen. Auch, um die Demokratie auf die Wirtschaft auszudehnen. Wenn es zum europäischen oder sonst einem Frühling kommt, dann sollten die progressiven Gruppen nicht im Winterschlaf verharren.
Was für ein Knospenknallen, sollten sie organisatorisch und programmatisch besser vorbereitet sein als die neoliberalen oder nationalen Fundamentalisten. Die linkeren Bürger, mit ihrer zwanghaften Lust an der kleinsten Differenz, sollten nicht so zerstritten sein, dass sie sich nicht, wie jetzt im arabischen Herbst, auf ein Programm, auf die dazu passenden Kandidaten, einigen können.
Ich erhebe nicht den Anspruch zu wissen, was richtig ist. Ich habe Informationen eingeholt, Erfahrungen zugelassen, Zweifel verinnerlicht und aus all dem weitgehend tabuisierte Schlüsse gezogen. Ich mache Vorschläge.
Ich habe also viel Mühe gehabt, meinen nächsten Irrtum vorzubereiten ... Wenn es gelänge, den Zweifel zu säen, hier und da aufgehen zu lassen, damit den unumkehrbar scheinenden Trott zu stören, wäre schon ein wenig gewonnen.